Mittelalterliche Mikwe in Miltenberg
„Lebendiges Wasser“
מִקְוֶה
Eine Dokumentation mit allgemeinen Erläuterungen von Werner Reuling.
Wer kennt es nicht, das schmale, schiefe Haus in Miltenberg. Täglich stehen Besucher der Stadt mit seitlich- und weit nach hinten geneigtem Kopf vor dem Haus und sie bestaunen das sehr schmale, hohe und spitzgiebelige Fachwerkgebäude mit der ehemaligen Hausnummer 399, heute Löwengasse 1.
In den städtischen Prospekten ist zu lesen, dass sich eine Mikwe im Keller des Gebäudes befinden soll, auch ist von einem jüdischen Frauenbad bzw. Judenbad die Rede.
Was ist eine Mikwe?
Das hebräische Wort Mikwa bedeutet Wasseransammlung. In der rabbinischen Literatur wird Mikwa jedoch nur im religiösen Sinn verwendet.
Die im Volksmund genannte Mikwe, ein rituelles Tauchbad, hat in den jüdischen Gemeinden eine sehr hohe Bedeutung[1]. Jede Gemeinde war im Besitz eines solchen Tauchbades.
Solch eine Einrichtung unterliegt im Bau sowie in der Nutzung bestimmten Regeln. Das Wasser muss besondere Anforderungen erfüllen.
Bereits im Altertum werden 2 Wassertypen genannt, welche in der Tora auch erwähnt sind.
Typ I.: „lebendige Quelle“, auch ma`jan (Quelle) genannt, hierzu muss das Wasser aus der Erde kommen. Flüsse, Meere und Seen, können nach Prüfung auch Typ I zugeordnet werden, weil sie ja durch Quellen entstanden sind.
Typ II: ist ein Becken, gefüllt mit angesammeltem Regenwasser - mikwa. Das Regenwasser muss auf natürliche Art gesammelt sein - es darf nicht von Menschenhand geschöpft oder sonstig transportiert werden (auch hier gibt es geregelte Ausnahmen). Es muss ein stehendes Gewässer sein.
Es soll also „lebendiges“ Wasser sein und in natürlicher Art zu- und abfließen (ma`jan), oder Regenwasser gesammelt werden (mikwa), das heißt, es darf nur Wasser natürlichen Ursprungs[2] für diesen Zweck verwendet werden. Es soll auch nicht herangetragen, noch anderweitig transportiert werden (es gibt allerdings auch Ausnahmeregeln). Daher kommt grundsätzlich nur Quell- oder Regenwasser in Frage. Das Tauchbecken soll mindestens 40 Sea[3] Wasser enthalten können. In der allgemeinen Praxis liegt die ideale Wassermenge selten unter 1000 Liter[4].
Eine Mikwe wird von Frauen, aber auch von Männern genutzt. So müssen sowohl weibliche als auch männliche konvertierte das Tauchbad aufsuchen[5].
Allerdings gibt es für Männer keine, von der Tora vorgegebene, weitere Pflicht im reinigenden Wasser einer Mikwe unterzutauchen. Im Laufe der Zeit haben sich allerdings verschiedene Bräuche entwickelt. So besuchen auch Männer zum Beispiel vor hohen Feiertagen, vor dem Sabbat[6] oder vor dem täglichen Morgengebet die Mikwe.
[1]Vielen ist nicht bekannt, aber die Mikwe ist so essenziell und bedeutend, dass ihr Bau sogar Vorrang vor der Errichtung einer Synagoge hat. So steht es im Talmud, Megilla 27a (www.juedische-allgemeine.de/Radbil 2016).
„Wie unsere Weisen sagen, ist das Tauchbad ein solcher Segen, dass man eine Synagoge verkaufen darf, um eines zu bauen“ („Die Juden“, Roger Peyrefitte, Stahlberg, Karlsruhe 1966).
[2]Die Tora (3. Buch Mose 11,36 LUT – Nur die Brunnen und Zisternen, in denen sich Wasser sammelt, bleiben rein) lehrt uns, dass das Wasser einer Mikwe einen natürlichen Ursprung haben soll, also kommen nur Regen- oder Grundwasser in Frage (www.juedische-allgemeine.de/Radbil 2016).
[3] 1 Sea entspricht 1/3 Epha das sind 7,3-13 Liter, Bibelstelle: 2 Kön 7,1 ((Wikipedia, 2021), 40 Sea. also mindestens 292-520 Liter.
[4] Diese Angaben sind natürlich abhängig von der jeweiligen Tauchbeckengröße.
[5] Der Übertritt zum Judentum ist vollständig, wenn die Konvertierten in Anwesenheit des Rabbinatsgerichtes in einer Mikwe untergetaucht sind (www.juedische-allgemeine.de/Radbil 2016)..
[6] Der Sabbat ist in der jüdischen Woche der siebte Tag der Woche und somit der Ruhetag. Er beginnt Freitagabend, sobald die Sonne untergeht und endet am darauffolgenden Samstag, sobald die Sonne untergegangen ist. Er dauert ungefähr 25 Stunden (Google, 2019)
Idealerweise, so schreibt der Rabbiner der jüdischen Gemeinde Osnabrück, Avraham Radibil: "sollten jede Gemeinde unterschiedliche Mikwaot haben, eine für Frauen und eine für Männer. Doch falls es nur eine gibt, und selbst wenn es nur eine Frau gibt, die nicht in dieselbe Mikwe mit den Männern gehen möchte, ist es, laut Rabbiner Mosche Feinstein, Grund genug, diese als eine reine Frauenmikwe zu deklarieren und den Männern den Zugang zu untersagen".
Neben Männern und/oder Frauen, welche eine Mikwe nutzen, soll auch neues Geschirr vor dem ersten Gebrauch in eine Mikwe getaucht werden. Das Ritual darf aber nicht an hohen Feiertagen oder am Sabbat durchgeführt werden. Die rituelle Reinigung stammt aus der Zeit des ersten Jerusalemer Tempels (König Salomon, um 950 vor Christus) und hat den Sinn, einen Menschen oder einen Gegenstand im geistigen Sinne zu reinigen – das Unreine soll symbolisch weggespült werden. Die Vorschriften nennen verschiedene Gründe für ein solches Ritual: Kontakt mit Toten, nach bestimmten schweren Krankheiten, am Vorabend der Hochzeit, nach der Menstruation und nach der Geburt eines Kindes. Der Besuch der Mikwe darf erst nach Sonnenuntergang stattfinden, damit von dieser privaten Angelegenheit kein Dritter erfahren kann.
Während des Rituals darf nichts Körperfremdes, wie zum Beispiel Schmuck, getragen werden. Eine gründliche körperliche Reinigung in einem Wannenbad und zusätzliche Körperpflege, wie das Zähneputzen und Fingernägel schneiden ist Voraussetzung für die folgende Durchführung des Ritualbades im Tauchbecken. Nichts darf den direkten Kontakt zwischen Körper und dem Wasser der Mikwe behindern. Die Person wird von einer sogenannten Mikwenfrau, manchmal auch Helferin genannt, begleitet. Sie ist für die Belange der Mikwe und auch für die sachgerechte Durchführung der Vorbereitung und des Rituals zuständig. Keine Hautschuppe, kein loses Haar darf am Körper anhaften.
Am Beckenrand stehend, legt die Helferin ein Tuch über den Kopf der Person und spricht den Segen: „Baruch ata adonai eloheinu melech ha-olam asher kid-shanu b´mitzvo-tav v´tzi-vanu al ha-tevilah“, wie es bereits seit Jahrhunderten schon getan wird. Übersetzt lautet der Segen:
„Gesegnet seist Du, ewiger, unser Gott, König des Universums, der uns mit seinen Geboten geheiligt hat und uns das Ritual des Untertauchens befohlen hat“.
Anschließend steigt der Besucher die Stufen zum Becken hinunter und taucht ein, das heißt der gesamte Körper, der Kopf und die Haare müssen unter der Wasseroberfläche sein. Je nach Brauch oder Gewohnheiten wird das Untertauchen drei oder sieben Mal durchgeführt. Meistens jedoch wird das Untertauchen einmalig durchgeführt. Auch dieser Vorgang wird von der Helferin genau beobachtet, um sicherzustellen, dass die Durchführung auch den überlieferten Geboten entspricht. Jetzt kann der/die Nutzer/Nutzerin ein ganz persönliches Gebete sprechen, das sind Augenblicke höchster Spiritualität.
Die US-amerikanische Schriftstellerin, Faye Kellerman beschreibt 1986 in ihrem ersten Roman: „The Ritual Bath“, deutscher Titel: „Geh nicht in die Mikwe“, sehr ausführlich den Ablauf einer rituellen Reinigung[7].
[7] „Rina (die Helferin) überzeugte sich davon, dass an Sarahs Rücken, Brust und Armen keine losen Haare hängengeblieben waren (Sarah hatte sich zuvor 40 Minuten körperlich gereinigt). Dann stellte sie die Routine Fragen. Hatte Sarah sich die Zähne geputzt? War sie auf der Toilette gewesen? Hatte sie alle Fremdkörper – Ringe, Ohrringe, Zahnprothesen – von ihrem Körper entfernt? Sarah bejahte alles fast automatisch, und Rina gab ihr die Erlaubnis, das Bad zu betreten. Sarah stieg die acht Stufen hinab. Das Wasser bedeckte jetzt ihre Brüste. Als Rina ihr zunickte, tauchte sie mit offenem Mund und offenen Augen unter, bis das Wasser über ihrem Scheitel zusammenschlug und tauchte wieder auf. Als Rina bestätigte, dass der Tauchvorgang ordnungsgemäß vollzogen war, wiederholte sie ihn noch zweimal. Dann reichte Rina ihr einen Waschlappen, Sarah bedeckte das Haar, sprach laut das vorgeschriebene Gebet, setzte noch ein paar Worte für sich hinzu und gab den Waschlappen zurück. Danach tauchte sie noch viermal unter und stieg aus dem Becken heraus. Rina hielt das Tuch mit weit ausgebreiteten Armen so, dass sie für Sarah nicht zu sehen war. Es ist das Vorrecht einer Frau, die aus der Mikwe kommt, sich völlig unbeobachtet zu fühlen. Dann musste sie in den Aufenthaltsraum gehen“.
(Kellerman, 1986)
Abb. 1-3: Die Fachwerkfassade um 1900, die Fassade nach der ersten Renovierung 2004 und die Fachwerkfassade 2024 (zur Renovierung der Fassade 2024 ist ein gesonderter Blog auf der Seite). Die Mikwe befindet sich im Keller des Hauses.
Das jüdische Mittelalter in Miltenberg
Das letzte Jahrzehnt des ausgehenden 13. Jahrhunderts war die Zeit der Fertigstellung der ersten Synagoge in Miltenberg, eine der ältesten erhaltenen Synagogen Europas. Der erste Stadtring verlief im unteren Teil der Stadt, von heimischen Bürgern „Schwarzviertel“ genannt, auf der Höhe des heutigen Bannhauses und des ehemaligen Bezirksamtes.
Abb. 4: Die erste Synagoge in Miltenberg, hinter der ehemaligen Kalt-Loch-Brauerei. Erbaut um 1290. Abb. 5: Das Kreuzgewölbe in der ältesten Synagoge von Miltenberg.
Sie steht heute noch am Rand des ältesten Siedlungsgebietes nahe der Burg, im sogenannten „Schwarzviertel“, und zählt zu den frühesten Synagogen Deutschlands (Hinterhof von Hauptstraße 199/201).
Auf der Höhe der Löwengasse stand zu jener Zeit noch der 1826 abgetragene Stumpfturm. Dieses Tor war seinerzeit der aktuelle Stadteinlass und mainseitig befand sich die Junkerspforte (Abb. 6, 7, 8). Das bedeutet, dass die Mikwe zu dieser Zeit vor den Toren der Stadt lag.
Um 1290 wurde die erste Synagoge in Miltenberg errichtet. Ein Synagogenbau setzt, auch der Finanzierung wegen, das Vorhandensein einer jüdischen Gemeinde voraus. Wohl ist anzunehmen, dass es durch die ideale topographische Lage und die Verleihung der Stadtrechte (erste urkundliche Erwähnung Miltenbergs als Stadt, 1237), vermehrt jüdische Händler in die Stadt zog.
Michael Joseph Wirth, schreibt in seiner Chronik der Stadt Miltenberg (Seite 230, Abs. 1): "Unfehlbar waren im 13. Jahrhundert schon Juden in Miltenberg wohnhaft, denn Erzbischof Heinrich erteilte den Bürgern in Miltenberg im Jahre 1338 einen Gnadenbrief, wonach kein Jude wegen Schulden, worauf er zur Zeit, als man die Juden schlug, verzichtet hat, dieselben soll vor Gericht fordern können". (1338, wäre allerdings das 14. Jhd./Anmerkung Werner Reuling).
Mag die gute Gesinnung gegenüber den jüdischen Bürgern oft ein Grund gewesen sein, sich in Miltenberg nieder zu lassen- in anderen Gegenden war das zu dieser Zeit nicht so.
Jüdische Gemeinden waren allerdings schon seit der Spätantike ansässig. Es ist denkbar, dass jüdische Bürger bei den Rückreisen der Kriegszüge der römischen Heere mitgereist sind - um Neues zu entdecken. Ähnliche Sachverhalte sind auch bei den Kreuzzügen der Christen[8] vorstellbar. Die erste urkundliche Erwähnung über das Leben jüdischer Bürger in Deutschland[9], zeigt eine frühmittelalterliche Handschrift aus dem Jahre 321.
[8] Der Erste Kreuzzug war ein christlicher Kriegszug zur Eroberung Palästinas, zu dem Papst Urban II. im Jahre 1095 aufgerufen hatte. Sein ursprüngliches Ziel war die Unterstützung des Byzantinischen Reiches gegen die Seldschuken. Der Kreuzzug begann 1096 zum einen als bewaffnete Pilgerfahrt von Laien, zum anderen als Zug mehrerer Ritterheere aus Frankreich, Deutschland u. Italien und endete 1099 mit der Einnahme Jerusalems durch ein Kreuzritterheer (Wikipedia, Erster Kreuzzug, 2021).
[9] 321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Am 11. Dezember 321 erlässt der römische Kaiser Konstantin ein Edikt (Gesetz). Es legt fest, dass Juden städtische Ämter in der Kurie, der Stadtverwaltung Kölns, bekleiden dürfen und sollen. Dieses Edikt belegt eindeutig, dass jüdische Gemeinden bereits seit der Spätantike wichtiger integrativer Bestandteil der europäischen Kultur waren. Eine frühmittelalterliche Handschrift dieses Dokuments befindet sich heute im Vatikan und ist Zeugnis der mehr als 1700 Jahre alten jüdischen Geschichte in Deutschland und Europa (e.V., 2021).
Abb. 6:
Schloss Miltenberg, kolorierte Lithographie, 19,5 x 13,5 cm, von Johann Baptist Dilger (München 1814-1847), aus dem 3. Jahrgang "Vaterländisches Magazin" für Belehrung, Nutzen und Unterhaltung, insbesondere der Vaterlandskunde und Industrie.
Die sehr seltene Zeitschrift erschien nur in 5 Jahrgängen. Die ersten beiden 1837 u. 1838 bei Palm & Enke in Erlangen. Die Jahrgänge 1839 bis 1841 bei Georg Jacquet in München.
Am rechten Bildrand noch schön zu sehen, der 1826 abgetragene Stumpfturm.
Offensichtlich entstand die Lithographie nach einer alten Vorlage, denn 1826 war Dilger gerade mal 12 Jahre alt.
Wie das Alltagsleben und die Wohnsituationen für jüdische Bürger zu dieser Zeit waren, beschreibt sehr ausführlich das Buch: „Deutschland, oder Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen“. Vierter und letzter Band. Stuttgart, bei Gebrüder Franckh, 1828.
Über die Quartiersituation wurde folgendes geschrieben:
"Das Mittelalter hatte doch ungeheure Flecken, 1140[10] und 124911] gab es förmliche Judenschlachten in der Stadt – sein Geist wirkte fort bis auf unsere Zeiten, und recht sichtlich noch vor 50 Jahren im Judenquartier zu Frankfurt.
Zitternd ging ich als Knabe an der Hand meines Oheims[12], der nicht ermangelt hatte mir von jenem Christen-Knäblein zu erzählen durch die Höhle, wo das Volk Israel eingesperrt war, wie eine Herde Schweine, und Sonntags durften sie gar nicht einmal aus ihrem Stalle heraus, noch weniger auf den Spaziergängen sich sehen lassen.
Sonst durften sie sich Sonntags gar nicht blicken lassen, ja selbst ihre Briefe auf die Post durften sie nur auf einem gewissen vorgeschriebenen Weg abgeben, ohne zur Rechten noch zur Linken abzuweichen."
15 Meter vor den Toren der Stadt, in der Nähe der ältesten Synagoge, welche keine eigene Mikwe besaß, lag also das jüdische Ritualbad. Um aber das Glaubensritual durchführen zu können, mussten die Frauen/Männer demnach die sichere Stadt verlassen. Wenn zu dieser Zeit überhaupt ein einfacher jüdischer Bürger im sicheren Stadtring wohnen durfte. Es ist wahrscheinlicher, dass jüdische Bürger und Händler am Rande oder vor den Toren der Stadt lebten und auch dort ihren Handel betrieben. Dass eine Mikwe etwas abseits liegt, ist nichts Ungewöhnliches, sondern vielmehr ein sehr nützliches Detail. So kann der Besucher oder die Besucherin diskret und unbeobachtet die Einrichtung aufsuchen und auch verlassen. Die Herausforderung ein geeignetes, den Vorschriften entsprechendes Ritualbad zu bauen, lag zu dieser Zeit natürlch auch in der Bestimmung, dass entsprechende Einrichtungen nur im Gebiet des Siedlungsviertels gebaut werden durften.
Das Leben im sicheren Stadtring, blieb ein unter Auflagen geduldetes Privileg der Handelsleute, die, durch ihre Eigenschaft als Geldverleiher, auch den Synagogenbau bewirken und finanzieren konnten.
[10] Gemeint ist wohl 1241 (die Erste Judenschlacht) in Frankfurt/Main. „Schon im Jahre 1241 war in Frankfurt eine Judenverfolgung, die man die erste Judenschlacht nannte“ (Karl Enslin, Frankfurter Sagenbuch, H. L. Brönner, Frankfurt/Main 1861).
[11] „Am 14. Juli 1349 wurden alle lebenden Jüdinnen und Juden ermordet und ihre Häuser in Brand gesteckt“ (www.juedischesmuseum.de/blog/1349-zweite-judenschlacht).
[12] Oheim, mittelhochdeutsch, Bruder der eigenen Mutter (Onkel mütterlicherseits).
Abb. 7: Detail der Karte "Entwicklung der Stadt im Mittelalter". Blau: ältester Stadtring von 1237.
Abb. 8: Detail der Karte Stadtmauer, Türme und Tore. Nach den Aufzeichnungen von Dr. Madler, gezeichnet von Eduard Hartmann. Veröffentlicht in der "Festschrift 700 Jahre Stadt Miltenberg", 1937. Nr. 3, das Stumpftor und Nr. 22 die mainseitige Junkerspforte.
1346 erfolgte die erste Stadterweiterung. Nicht einfach aus dem Nichts, auch nicht unter der Devise: „Erst mal die Mauer bauen und dann die Häuser“. Nein, die Stadterweiterung war nötig. Scheunen, Stallungen, Gärten, Brunnen und natürlich auch jüdische Ansiedler lebten hier schon seit Jahren. Bauern führten ihr Vieh tagsüber auf die fruchtbaren Weiden des Mainufers und brachten es nachts in die sichere Stadt zurück. Die Bürger bewirtschafteten ihre Gärten, die Fischer trockneten ihre Netze, denn der Türmer warnte bei Gefahr mit seinem Horn.
Michael Joseph Wirth schreibt in seiner „Chronik der Stadt Miltenberg“ Seite 429:
"Eine Urkunde vom Jahre 1361 nennt jenen Stadttheil beim Münzerbrunnen[13] die Judenstadt, weil daselbst die Juden wohnten. Dem Juden Samuel Lazarus, welcher im Jahre 1719 den gnädigsten Schutz in Miltenberg erlangt hatte und sich in der Hauptstraße niederlassen wollte, wurde solches auf die vom Rathe erhobene Beschwerde abgeschlagen".
[13] Gemeint ist das damalige Gebiet, Ecke Pfarrgasse/Mainstraße, ehemals Gasthaus „Schönenbrunnen“ bis zur Löwengasse.
Dieser Stadtteil wird auch das "Schwarzviertel" genannt. Zur Herkunft der Bezeichnung "Schwarzviertel" gibt es einige, mir nicht erklärliche Deutungen, so zum Beispiel, dass in dieses Viertel kein Licht einfallen würde. Das halte ich als gebürtiger "Schwarzviertler" für nicht richtig- wir haben hier sehr wohl Licht.
Vielmehr erklärt sich mir die Herkunft der Bezeichnung Schwarzviertel daraus, dass wie oben erwähnt es das Gebiet war, in dem jüdische Bürger wohnten bzw. wohnen durften. Wenn man sich zur Verdeutlichung nun vorstellt, wie jüdische Bürger gekleidet waren (schwarz), dann ergibt sich die Erklärung für das "Schwarze Viertel" von selbst.
Zeittafel
1300
Mittelalterliche Funde bei der Ausgrabung der Mikwe lassen vermuten, dass es sich um die zuständige Mikwe der ersten Synagoge in Miltenberg handeln muss. Diese ist eine der ältesten, erhaltenen Synagogen Europas und wird ins letzte Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts datiert.
1429
Unter Erzbischof Conrad III. (regierte 1419-1434) wird jüdisches Hab und Gut konfisziert. Das betrifft auch die Synagoge und die Mikwe.
1755
Rückkauf der Synagoge. Jüdische Bürger dürfen wieder Eigentum erwerben.
1823
Plant man das Frauenbad zu sanieren und eine Beheizung einzubauen. Diese Maßnahme wird aus hygienischen Gründen von Amts wegen vorgeschrieben, aber nie ausgeführt.
1838
Am 27. Januar wird das jüdische Frauenbad "offiziell" geschlossen.
1881
Die jüdische Gemeinde kauft das Haus für 1300 Mark von der Tuchmakler-Witwe Zerla Dinkelmann (1817-1881).
1888
Umbau der Mikwe und des Wohnhauses. Aufgrund des starken Bergwasserzuflusses wird das Tauchbecken verkleinert.
1904
Einweihung der neuen Synagoge in der Mainstraße. Sie besitzt keine Mikwe.
1910
Im November soll eine Mikwe in der neuen Synagoge eingerichtet worden sein.
1938
Amtliche Anordnung: "Das jüdische Frauenbad ist zu entfernen". Der damalige Besitzer, der Metzgermeister Ottmar Kerber, füllt das Tauchbecken mit Schutt, sperrt die Zugänge und meldet der Verwaltung den Vollzug der Anordnung.
2002
Kauft Frau Melanie Metzger das Haus. Ausgrabungsbeginn der Mikwe.
2004
Abschluss der Ausgrabungs- und Renovierungsarbeiten der Mikwe und des Wohnhauses. Die Mikwe kann ab jetzt mit einem Stadtführer besichtigt werden.
Beginn der Ausgrabung der Mikwe 2002
2002 stand das Haus in der Löwengasse zum Verkauf und Frau Melanie Metzger erwarb das Gebäude. Frau Metzger erkannte die Wichtigkeit des im Keller ruhenden Kulturgutes und war ohne Bedenken bereit die Mikwe ausgraben zu lassen, um diese dann der interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen zu können. Sie beauftragte mich mit der Ausgrabung der Mikwe.
Die Zustimmung der zuständigen Behörden erfolgte mit der Bitte, die Grabung in Wort und Bild zu dokumentieren- was auch geschah und es konnte noch im gleichen Jahr mit den Arbeiten begonnen werden.
Abb. 9: Beginn der Ausgrabung. Abb. 10: Schwierige Freilegung. Am Ende werden 2500 Eimer "Schlammschutt" aus dem Becken gefördert.
Die Miltenberger Mikwe
Zusammenfassende Ergebnisse der Freilegung der Mikwe 2002-2004
Der Eingang zur Mikwe befand sich anfangs (Ende 13. Jhd.) an der Südseite des Kellerraums. Von der heutigen Hauptstraße kommend trat der Besucher/die Besucherin ein. Der ursprüngliche Eingang ist heute noch vorhanden, allerdings durch die Zugangsänderung und dem damit verbundenen Verbau und Einbau einer Sandsteintreppe im Innern des Hauses, aber nicht sichtbar. Neben dem damaligen Eingang befindet sich ein zweites Kerzenloch und vor dem Eingang eine ca. 10 cm starke Sandstein Trittstufe (siehe Abb. 11,12). Das Bodenniveau, so ergaben die Messungen 2004 (GGC-Gutachten), liegt im Keller der Mikwe bei 2,77 BZP und das Bodenniveau im Nachbarkeller bei 2,66 BZP (Meter unter Bezugspunkt). Die Sandsteinplatte diente also dem Niveauausgleich.
Abb. 11: Aufmaß mit dem noch vorhandenen südlichen Eingang. Abb. 12: Schnitt des südlichen Eingangs u. der Mikwe. Zeichnungen P. Wunderle.
Ende des 13. Jahrhunderts, die Zeit der Erbauung der Mikwe, handelte es sich bei der Miltenberger Mikwe, einen Steinwurf entfernt von der gerade erbauten ersten Synagoge, zunächst um ein einstöckiges Gebäude. Die Kellerdecke, wohl aus Holz, befand sich auf dem Niveau der heutigen Straße (wobei damals natürlich das Straßenniveau auch tiefer lag). Das Kellergeschoss war ausschließlich aus Sandstein gemauert. Da der Zugang anfänglich direkt in den Raum mit dem Tauchbecken war, ist anzunehmen, dass auch in diesem Raum die körperliche Reinigung vollzogen wurde - sicher in einem Waschzuber aus Holz.
Mehrere Baumaßnahmen durchliefen die Jahrzehnte, ja die Jahrhunderte. Sei es, aus Gründen der hygienischen und baulichen Auflagen von Seiten der Stadt Miltenberg oder des Herrschaftsgerichts, welche die Hygiene mehrfach in Frage stellte, aber auch von Seiten der jüdischen Gemeinde, um eine ordnungsgemäße Nutzung der Mikwe garantieren zu können. So wurden oft Auflagen gefordert, welche nur schwer zu erfüllen gewesen waren und meist fehlten auch die finanziellen Mittel, um Verbesserungen durchführen zu können. Oder, nach Ansicht der Betreiber der Mikwe, jegliche Veränderungen sowieso unnötig seien, weil sie mit dem Vorhandenen zufrieden waren.
Ein primärer Grund bei den baulichen Änderungen, war der sehr hohe bergseitige Wasserzufluss, denn die Miltenberger Mikwe wird von dem höchsten Gut, von natürlich zulaufenden Quellwasser, gespeist. So war man bedacht, diesen hohen Wasserfluss in den Griff zu bekommen, indem das Becken mehrfach verändert wurde.
Es bedarf keinem großen Vorstellungsvermögen, um zu erkennen, dass es schon sehr „unheimlich“ ist, in einem nur durch Kerzenlicht erleuchteten Kellergewölbe, in ein mit Wasser gefülltes Becken zu steigen. Zu jener Zeit konnten Menschen oft auch nicht schwimmen. Zudem war eine übermäßige Wasseransammlung gar nicht nötig, sondern nur so viel, dass gebückt untergetaucht werden konnte.
Die 4 baulichen Änderungen der Mikwe
Die erste Ausführung des Abganges zum Tauchbecken (die Stufen), waren in Fels geschlagen. Ob diese nur zur guten Auflage der Blockstufen dienten, oder es die eigentlichen Stufen waren und erst später Blockstufen auf die in Fels geschlagenen gesetzt wurden, ist nicht zu erkennen.
Stufen:
10
Stufen- u. Abgangsbreite:
100 cm
Wände u. Decke des Beckens:
Sandstein
Geländer im Abstieg:
je eins, rechts und links, kantiges Schmiedeeisen.
Tauchbeckengröße:
100 x 50 cm
Eingang:
Südlich, von der heutigen Hauptstraße aus.
Fenster:
keine, aber 2 Beleuchtungsnischen/Kerzennischen.
Raumhöhe:
ca. 278 cm im vorderen Raum (Beckenraum), siehe Abb. 18.
Die zweite Ausführung, wohl im Zuge der Sanierung/Bau des Wohnhauses um 1600 wurde der Kellerboden um ca. 64 cm erhöht. Es kamen 3 Abgangsstufen hinzu und es wurde vor die südliche Abgangswand eine Ziegelmauer von 19 cm Breite gesetzt. Das hatte folgende Veränderungen gebracht:
Stufen:
13 (+ 23, 23 u. 18 cm).
Stufen- u. Abgangsbreite:
78 cm.
Wände u. Decke des Beckens:
Sandstein. Die südliche Wand ist aus Ziegel.
Geländer im Abstieg:
je zwei rechts u. links. Unten Vierkant-, oben Rundeisen.
Tauchbecken Größe:
100 x 50 cm.
Eingang:
Östlich, von der heutigen Löwengasse. Hierfür wurde im Gebäude eine Treppe (Sandstein-Blockstufen) eingebaut. Um diese Treppe einbauen zu können, ist ca. 110 cm des Kellergewölbes abgetragen worden (die Abbruchreste sind unter der Treppe noch sichtbar).
Fenster:
Einbau der 2 Kellerfenster, auf der Seite der Löwengasse.
Raumhöhe:
ca. 214 cm, im vorderen Beckenbereich.
Wohnhaus:
Wie die 10 dendrochronologischen Proben aufzeigen, ist das Wohnhaus zwischen 1580 und 1600 neu errichtet worden. Aus dieser Zeit gib es wenig Schriftliches. Lediglich Oskar Winterhelt beschreibt die Fassade in dem Artikel „Obere und untere Badstube und Judenbad“ (siehe unten).
Die dritte Ausführung, um 1888, sichtbare Veränderungen der Mikwe.
Am Mikwenbecken wird auf der untersten Blockstufe eine Wand gemauert, so, dass das Tauchbecken nicht mehr sichtbar ist. Damit wird quasi ein Sammelbecken geschaffen. Mittig in der Wand ist ein Loch von ca. 5 cm im Durchmesser, darin ein mit Leinen umwickelter Holzstöpsel, welcher das Loch verschließt. Diese Mauer verhindert das Eindringen größerer Wassermassen, hält sie aber auch als Reserve bereit. Hierfür wurde bei Wasserknappheit der Stöpsel entfernt und es konnte das gesammelte Wasser aus dem Rückhaltebehälter einfließen. Diese Handhabung ist nach den jüdischen Vorschriften korrekt.
In dem Artikel „Das Judenbad Alt-Miltenberg“, Bote vom Untermain, 1948 von G.J. erklärt die Ehefrau des damaligen Hausbesitzers Ottmar Kerber dem Artikelschreiber u.a.: “Zu dieser fließenden Quelle unter dem Haus, die etwa um 1911 zugemauert wurde….“.
Meinen Nachforschungen ergaben, dass die Mauer um 1888 vor das Tauchbecken gesetzt wurde (Materialbelege in den Hausunterlagen- könnte natürlich auch anderweitig verbaut worden sein). Allerdings sind in dem genannten Artikel unrichtige Behauptungen, so dass ich die Glaubwürdigkeit in Frage stelle. So ist die Hausnummer nicht richtig. Der Balken mit dem Hausspruch ist kein Balken, sondern ein Brett. Und es wird behauptet, dass das warme Badewasser zur körperlichen Reinigung, nach der Nutzung in die Mikwe geleitet wurde. Das ist nicht nachvollziehbar, denn es darf kein unreines Wasser zugeführt werden und eine Zuleitung wurde auch nicht gefunden.
Abb.13: Die vor das Tauchbecken gemauerte Wand während der Ausgrabung und Rückführung. Begonnene Abtragung.
Ein provisorisches „Tauchbecken“ wurde hergestellt, indem ein Eichenbrett, ca. 80 x 60 cm eingelegt und mit Steinen unterfüttert wurde. Durch diese Maßnahmen war die weitere Nutzung der Mikwe zufriedenstellend geregelt.
Es ist allerdings auch möglich, dass die Mauer nicht nur wegen einem zu großen Wasserzufluss errichtet wurde, sondern eventuell auch, um erwärmtes Wasser einbringen zu dürfen. Es waren mehrere Möglichkeiten zulässig, das Wasser einer ma`jan oder einer mikwa zu erwärmen. Hierfür wurde zum Beispiel nur etwas mehr als die Hälfte des benötigten Quellwassers, also mindestens 21 se`a, in ein leeres Becken fließen lassen und dann mit warmem Wasser aufgefüllt. Die Änderung des Beckens, durch das Vorziehen einer Mauer mit einem kleinen Durchlassloch, hätte diese Variante ermöglicht.
Die vierte Ausführung: Aufgrund der städtischen Anweisung von 1938 die Mikwe zu vernichten, werden vier Blockstufen im unteren Bereich herausgerissen und in die Mikwe geworfen und dann das alles bodenbündig mit Bauschutt aufgefüllt. Darüber wird ein Stragula-Boden (Linoleum Imitat) gelegt. Der Kellerabgang wird mit Bodenbrettern so vernagelt, dass kein sichtbarer Zugang zu erkennen ist. Das Geländer bleibt unbeschädigt, so, dass bei der Freilegung das Auffinden des Beckens keine Schwierigkeit darstellte. Allerdings hat der damalige Hausbesitzer, Herr Ottmar Kerber, einen kleinen Durchbruch vom Flur des Hauses in den hintern Gewölbekeller gemacht, um so wenigstens noch seinen Apfelwein lagern zu können.
Dieser Zustand war letzter Bestand beim Erwerb des Hauses 2002 und vor der Ausgrabung der Mikwe.
Städtische u. amtliche Auflagen
Einfach hatte es die jüdische Gemeinde in Miltenberg nicht und manche Ratsherren nahmen die Regeln des jüdischen Glaubens nicht sehr ernst und taten vieles dafür den geregelten Ablauf der Gläubigen zu stören. So zeigt das Beispiel des folgenden Schriftverkehrs (aus: "Stadtarchiv Fach 32/16 -Acten des Magistrats in Miltenberg- das Judenbad"), dass nach 15 Jahren – 1823 bis zur Schließung der Mikwe 1838, die Tyrannei der Forderungen siegte und die Mikwe geschlossen werden musste.
1823 plant man das Frauenbad zu sanieren und eine Beheizung nebst Wassererwärmung einzubauen. Diese Baumaßnahme wird aus hygienischen Gründen vom Herrschaftsgericht vorgeschrieben.
Ein Plan wird am 8. Februar 1823 „Auf Befehl des dahiesigen Stadtmagistrats verfertigt und eingegeben, wofür meine für Einsicht und Aufnahme für verfertigten Überschlag und Zeichnung ad. 5 fl (5 Gulden). Weyrich Magistratsrath, Urban Becker, Johann Neuner. Nota: Man kann auch den Kamin in den alten hineinschleifen so wie die bezeichnete Figur a) zeiget wurde aber der Rauch nicht so gern hinaus gehen, wie bey dem ganzen Kamin das Fenster b) welches neben der Stuben in den Vorblatz gehet, halb verloren.“
17. März 1826, Herrschaftsgericht
Da die Einsprüche der Familie Dinkelmann “gegen Herrichtung des Judenbades in geheizten Zustand durch rechtskräftiges Erkenntniß“ vom 2. Sep. des Vorjahres beseitigt sind, kommt jetzt die Zeit, die Maßnahme durchzuführen.
Dem Magistrat geht der von der Baupolizei begutachtete Bauriß vom 8. Februar 1823 zu. „Um die Juden anzuweisen, nunmehr nach diesem Risse die Arbeit zu akkordieren und ungesäumt anzufangen“. Der Magistrat hat die Durchführung zu beaufsichtigen „und nöthigenfalls das Fürstl. Amtsphysikat um die zweckgemäse Accordierung des Bades selbst anzugehen“ Miltenberg, den 17ten März 1826.
20. März 1826
Anweisung des Magistrats an die Juden zur Veraccordierung (veraltet für verabreden, etwas vereinbaren/Anmerkung Werner Reuling), der Maßnahme. Der Riss kann von den Handwerkern beim Magistrat eingesehen werden. Ein Mitglied des Magistrats wird die Aufsicht über die Bauausführung haben. Die Akkordierung ist binnen 8 Tagen nach genommener Einsicht des Hauses abzuschließen.
27. Januar 1838, Anordnung zur Verschließung der Judentauche
Nachdem die im Keller der Geschwister Dinkelmann befindliche Judentauche nach dem Gutachten des Fürstlichen Amtsphysikats „der Gesundheit höchst nachtheilig“ ist und ihre Örtlichkeit auch nicht erlaubt, die schlechte Beschaffenheit derselben durch anderweite Einrichtung zu beseitigen. So kann dieselbe zum gebrauche der Judenweiber nicht weiter gestattet werden. Vielmehr ist dieselbe zur Verhütung alles ferneren Gebrauchs von Polizei wegen zu schließen.
Der Stadtmagistrat wird daher beauftragt, diese Tauche zu verschließen, den Schlüssel hierzu in eigene Verwahrung zu nehmen und zur Verhütung alles unerlaubten Gebrauchs, das magistratische Siegel zweckmäßig anzulegen, auch den Dinkelmannischen Geschwistern bei namhafter Geld- oder Arreststrafe zu untersagen den Gebrauch dieser Tauche irgendjemand zu gestatten; sich selbst aber durch unvermuthete Visitationen von dem steten Vollzug dieser Anordnung zu versichern.
Den dahiesigen Juden hat der Stadtmagistrat diese Verfügung mit dem Bedeuten zu eröffnen, dass ihnen zwar gestattet seye, eine andere zweckmäßige Judentauche zu errichten, dass diese Einrichtung aber nicht ohne zustimmendes Gutachten des Amtsphysikats geschehen könne, und hierzu nur ein Lokal von gesunder Lage und Beschaffenheit und nicht dumpf und kalt gewählt werden könne.
Daß übrigens die Zutheilung nach Kleinheubach nach dem Gutachten des Distriktsrabbinats nicht statthaben könne, weil nach eingegangener Erkundigung von dem Fl. Herrschaftsgericht daselbst die dortigen Judentauche wegen ihrer schlechten Beschaffenheit ebenfalls geschlossen worden sey.
Kurz, Herrschaftsrichter
Ende der Aufzeichnung aus den Akten des Stadtarchives.
Welche Lösung für die weitere Nutzung nach der Schließung von 1838 gefunden wurde, ist noch nicht bekannt. So kann man verschiedentlich lesen (so auch im folgenden Artikel der BvU, 2.4.1955 von Rudolf Vierengel), dass das Judenbad renoviert wurde, wohl aber handelt es sich hierbei ausschließlich um Schönheitsreparaturen oder Renovierungen des Wohnhauses. Einbauten, wie z.B. der neue Heizkessel erfolgten nicht.
Wie lange die Mikwe tatsächlich genutzt wurde ist nicht bekannt und vieles hüllt sich, aus bekannten und verständlichen Gründen, in Schweigen.
Teil Abschrift Zeitungsartikel Bote vom Untermain Samstag 2. April 1955, von Rudolf Vierengel „Obere und untere Badstube und Judenbad“.
"…Während die öffentlichen Badstuben rein hygienischen Zwecken – und vielfach auch hedonistischen – dienten, gehörte das jüdische Frauenbad der Erfüllung von Verpflichtungen aus dem mosaischen Gesetz. Die hier vollzogenen Reinigungen waren also – wenn sie natürlich auch hygienische Notwendigkeiten zu Ursprung hatten – ritueller Art.
Wo sich das älteste Frauenbad der sehr alten israelitischen Gemeinde in Miltenberg befand, wissen wir nicht. Aufgrund von Ausgrabungen im Gelände der Brauerei Schohe im vergangenen Jahr kann angenommen werden, dass es unterhalb der gotischen Synagoge unterm Straßenniveau am Beginn eines vermutlichen unterirdischen Fluchtganges gelegen war, in dem eine Quelle aufgefangen war (diese Vermutung hat sich nicht bestätigt und auch die Vermutungen zu geheimen Gängen sind bislang ohne Nachweis geblieben/Anmerkung Werner Reuling).
Wie lange das allgemein als „Judenbad“ bekannte schmalbrüstige Fachwerkhaus (Hnr. 399) beim Landratsamt („underm Zollthor“) den erwähnten rituellen Zwecken diente, wissen wir nicht. Die früheste Mitteilung über das Haus überhaupt gibt Herr Oskar Winterhelt: „Es ist das einzige Haus in Miltenberg, das einen geschwungenen Holzgiebel in moselländischer Art besitzt. Weil sich der Giebel stark nach hinten neigte und die Fassade daher sehr unter dem Regen litt, ließ Leonhardt Allemann um 1603 auf die reichprofilierten Eichenholzgesimse glatt gehobelte und reichbemalte Bretter aufnageln, die als Fuß für die Schieferpultdächchen darüber dienten. Außerdem ließ Allemann die moselländisch geschweiften Giebelhölzer abbauen und das Dach ziemlich stark vorspringen. Die erwähnten Bretter ließ H. Oskar Winterhelt (einflussreicher Heimat-und Geschichtsforscher von Miltenberg/Anmerkung Werner Reuling) wieder abnehmen, sodass das Haus seine ursprüngliche Form erhielt.
Das Haus ist zwar seit 1706 nachweisbar bis über die Hälfte des letzten Jahrhunderts in jüdischem Besitz gewesen: Leser Jud, Abraham Jud, Amschel Herz (derselbe heißt 1810 nachdem die Juden Familien-Namen bekommen hatten, Amschel Herz Dinkelmann). Amschel, Herz und Sara Dinkelmann (1855). Aber erst 1818 erkaufte die Miltenberger Judenschaft einen Teil des Kellers unter diesem Haus und erst am 7. März 1881 um 1300 Mark das ganze Haus. Da nach den jüdischen Vorschriften das Frauenbad von der Kultusgemeinde gehalten werden muss, ist anzunehmen, dass der Keller von Hnr. 399 erst 1818 diesen Zwecken zugeführt wurde (soll wohl 1881 heißen und warum sollte eine Nichtnutzung eingetreten sein- es gab ja keine Ausweichmöglichkeit/Anmerkung Werner Reuling).
Doch genügte dies Frauenbad, den hygienischen Erfordernissen so wenig, dass am 29. Mai 1864 die isr. Gemeinde beim Rabbiner in Aschaffenburg anregte, das Haus zu erwerben und einen Neubau zu errichten. Glücklicherweise hatte die Kultusgemeinde auch nach dem Hauskauf von 1881 nicht genügend Mittel zu einem Neubau, sodass das hübsche Fachwerkhaus dem Stadtbild erhalten blieb. Man beschränkte sich auf eine Renovierung des Bades.
„Hier mag auch bemerkt werden“, - so schreibt J.J. Schirmer in seiner handschriftlichen Chronik: .. „dass die Quelle dieses Bades mit dem in der Nähe gelegenen Bezirksamtsbrunnen, welcher der ganzen Nachbarschaft als Wasserquelle diente, wie zufällig 1894 bemerkt wurde, in Verbindung stand und bei unvorsichtiger Behandlung der Bäder den Bezirksamtsbrunnen verunreinigte und häufig Typhusfälle in der Nachbarschaft verursachte, - was dann nach Entdeckung dieser Ursache einen Hauptgrund für die Einrichtung einer städtischen Quellwasserleitung bildete.“ Der Bezirksamtsbrunnen wurde gesperrt. (Ja, da lag man wieder einmal so richtig daneben und wollte wohl – wie so oft, den jüdischen Bürgern das Übel unterschieben. Der unglückliche Umstand einer defekten Ölpumpe im Nachbarhaus, hatte 2004 zur Folge, dass eine größere Menge Heizöl abfloss und im Mikwenbecken zu Tage kam. Der Ölschaden wurde von der Firma GGC/Gesellschaft für Geo- u. Umwelttechnik Consulting mbH dokumentiert und beseitigt. Bei dieser Dokumentation ergab sich u.a., dass der BZP Wert (Meter unter Bezugspunkt) in der Mikwe bei 5,18 und beim Bezirksamtsbrunnen bei 4,09 liegt - das Wasser hätte also bergauf fließen müssen, um den Brunnen zu verseuchen. Beide Brunnen stehen demnach nicht in Verbindung/Anmerkung Werner Reuling).
Nach Einrichtung der allgemeinen Wasserleitung konnte den rituellen Waschungen in den Wohnungen entsprochen werden. Das Frauenbad diente von da an nur als Notbehelf. Immerhin wurde auch im 1904 bezogenen Neubau der Synagoge an der Mainstraße, unter dem sich der frühere Fischerbrunnen befindet, ein Frauenbad eingerichtet." (Nein- weil die Vorschriften zum Bau und der Nutzung einer Mikwe strengen Regeln unterliegen, so darf es eben kein herangetragenes Wasser sein, sondern muss natürlich zu- und abfließen- die Wasserleitung hat somit keinen Zweck für die Mikwennutzung erfüllt/Anmerkung Werner Reuling).
Abschluss der Ausgrabungs- und Renovierungsarbeiten der Mikwe in Miltenberg.
So konnte im Juli 2004 die offizielle Besichtigung für die Öffentlichkeit mit einem Festakt freigegeben werden. Schon während den Ausgrabungsarbeiten war die Nachfrage zur Besichtigung sehr groß und so wurden die Arbeiten oft unterbrochen um den interessierten Besuchern den aktuelle Stand der Grabung zu erläutert. Auch die kommenden Jahre zeigten sehr großes Interesse bei den Bürgern und Besuchern der Stadt. So konnten, aufgrund der Eintragungen in ein ausgelegtes Gästebuch, in der Saison (Mai-September), 300 Besucher täglich gezählt werden, denn die Räumlichkeiten wurden den Gästeführen in Miltenberg zur Verfügung gestellt.
Abb. 14: Die Hausbesitzerin Melanie Metzger, Herr Bürgermeister Joachim Bieber (rechts) und Architekt Stefen Knapp bei der Eröffnungsfeier am 02. Juli 2004.
Abb. 15: Prominente Gäste bei der Einweihungsfeier im Juli 2004 waren der heutige Präsident des Zentralrats der Juden, Dr. Josef Schuster (Mitte) und links im Bild der damalige Stadtpfarrer u. heutige Weihbischof von Würzburg Ulrich Boom. Rechts im Bild, Pfarrer der Evangelisch.-Lutherischen Kirchengemeinde Miltenberg, Wilhelm Erhard .
Abb. 16: Die ersten offiziellen Besucher: Dr. Josef Schuster (links) und Joachim Bieber. Werner Reuling (Mitte).
Abb. 17 : Die Mikwe. Das Konzept der Präsentation wurde so gewählt, dass die älteren Teile in Sandstein und die jüngeren im verputztem Zustand gezeigt werden. Ca. 400 Liter Quellwasser fließen täglich ins Becken, Wassertemperatur 8° Celsius.
Abb. 18: Der Treppenabgang in den Tauchbeckenraum. Der freigelegte Sandstein zeigt deutlich die Raumhöhe der ersten Ausführung der Mikwe.
Abb. 19 : Das Tauchbecken. Die Metalleinfassung zeigt die Größe der ersten Ausführung.
Der Hausspruch der Mikwe Miltenberg: FRIT DEM DER EIN GET - HEIL DEM DER AVS GET ANNO DOM 1574
Was hat es mit dem Spruch, der über der Eingangstüre geschrieben steht, auf sich?
PAX INTRANTIBUS, SALUS EXEUNTIBUS, so haben Besucher von mittelalterlichen Städten den lateinischen Spruch vielleicht schon an manchem Stadttor gelesen. Er wird auch oft an Eingängen von Klöstern, Schulen, Gasthäusern, Toren und Eingangstüren entdeckt.
"Friede den Eintretenden, Heil den Hinausgehenden", so ähnelt dieser Spruch wohl dem Segen in Deuteronomium 28:6: "Gesegnet wirst du, wenn du hereinkommst und gesegnet wirst du sein, wenn du hinausgehst". Das Deuteronomium, ist das fünfte Buch des Pentateuch. Dewarim/Devarim ist der Name des Deuteronomiums in jüdisch-hebräischen Bibelausgaben, es wird auch als Fünftes Buch Mose bezeichnet.
Dieser "Segenswunsch" stand ursprünglich nicht über der Eingangstüre, sondern ist in ein Tafelbrett mit geschnitztem Spruch, welches im 1. Obergeschoss des Wohnhauses in der Löwengasse über dem Türeingang war. Damit er für Gäste sichtbar ist, wurde er im Jahre 2004 auf den Türsturz des Hauseingangs geschrieben. Die Einschnitte am Brett zeigen deutlich, dass es in einem Türrahmen eingepasst war. Und, in dem östlichen Raum im 1. Obergeschoss befinden sich noch Teile einer barocken Holzvertäfelung. Das lässt nicht nur vermuten, sondern bestätigt, dass dieser Raum um 1600 als Betraum diente. Diese Tatsache war bislang wissenschaftlich nicht erfasst.
Abb.20: Der Hausspruch nach der Entfernung der mehrschichtigen Ölfarbe. Das rohe Holz zeigte als Abdruck die fehlenden, einstigen Datierungzahlen, sodass das Datum rekonstruiert werden konnte. Das Wohnhaus wurde um 1600 neu errichtet, das Segensschild hatte offensichtlich schon vorher seine Verwendung. Abmessungen ca. 111 x 27 x 2,2 cm.
Abb. 21: Die Rückseite der Tafel. Deutlich zu erkennen, die Verbindungen für die Türzargen je ca. 17 cm. Die Türbreite war ca. 77 cm.
Abb. 22: Teile der barocken Holzvertäfelung, südliche Seite im 1. O,. vor der Freilegung u. Restaurierung.
Abb. 23 : Die barocke Holzvertäfelung nach der Freilegung und Restaurierung. Es sind 12 Bögen auf der südlichen und 12 Bögen auf der nördlichen Seite des 1. OGs erhalten.
Der Vorraum der Mikwe und die Ausstellungsstücke.
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Abb. 24: Eingang zur Mikwe mit Ausstellungsvitrine.
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